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Ansprache zur Ausstellung von Karin Hoerler, Deutschland – Vaterland: „Vater aller Dinge – Mutter aller Leiden,“ „Kleine Fluchten“ und “Immer nur in Afrika” am 7. 10. 2015 in der Weißfrauen Diakoniekirche in Frankfurt am Main von Dr. Rainer Paul, Wiesbaden

Meine Geschichte, mein Anknüpfungspunkt

Schon der erste Kontakt zu Ihrer Kunstausstellung heute erinnerte mich an die Fotoalben meiner Eltern; die Bilder aus der Kriegszeit, die Idylle der Nachkriegszeit. Und dann immer wieder der metallene Geschmack, der Blut- geschmack im Mund beim Anschauen der idyllischen Kriegs-, Etappen-, Lazarett- und Urlaubsbilder. So nah gingen mir diese doch statuen- und klischeehaft daherkommenden Bilder.

Könnte es sein, dass Sie eine kollektive bildnerische Erfahrung zum Gegenstand ihrer Arbeit machen? Das gilt auch für die Mehrgenerationenperspektive von der aus Sie diese Bilder befragen. Was ist es was das Dritte Reich in einer Mehr-generationenperspektive in uns eingraviert hat? Was geben wir an unsere Kinder weiter? Was ist das alte Gift, das Fremde in unserem Selbst und wie kann das Destruktive, was wir in uns aufgenommen haben fremd werden? Wie kann es gelingen zu sagen: „Das bin ich nicht!“, „So bin ich nicht!“ gesprochen von einer Position der Anerkennung des Destruktiven, nicht von einer Position der Verleugnung.

 

Das künstlerische Grundprinzip/der kreative Akt

Sie haben einen Weg gefunden, sich mit den doch auch sehr peinlichen Erinnerungsfotos der Eltern und der dazugehörigen Geschichte auseinander-zusetzen. Die Abwehrformation, das nicht sehen wollen, das wird durch Ihre künstlerischen Mitteln unterlaufen/attackiert. Sie haben es verstanden den Bildern aus der Lebensgeschichte der Eltern während des dritten Reiches- ihrer eigenen Lebensgeschichte vorauslaufend- und den Bilder aus der eigenen Lebensgeschichte der mit den gespiegelten und Verfremdeten, durch Gegenüberstellung mit Ereignissen der Zeitgeschichte etwas Ikonographisches, Zeichenhaftes, Generalisierbares und Übertragbares abzugewinnen.

Die kryptographische Technik, das Aufschneiden, das horizontale und vertikale Spiegeln der Schnitte, Doppelungen von Teilen der Zeichnung, die auf den Fotografien des Vaters basieren, lassen Ornamente entstehen, die die Figuren hervortreten lassen. Die ornamentale Struktur in den Bildern erlaubt es aber auch, von den Figuren abzusehen und sich im Ornament festzusehen. Beziehe ich die Ornamente auf das Bildhafte zurück entsteht für mich ein Flirren, wie in der Sommerhitze, wie eine Fata Morgana, die Wirklichkeit spiegelt, eine neue entstehen lässt. Es entsteht eine Intensität, die auf etwas heißes, verdichtetes verweist.

Die so verdichtete Fotografie einer Nachkriegs-Idylle ist keine Idylle mehr, das so bearbeitete Erinnerungsbild einer Kameradschaft ist keines mehr. Die zuvor privaten Bilder werden zu typischen Bildern aus ihrer Zeit. Eine Transformation der banalen Realität zu etwas Typischem (nicht nur dadurch, auch durch die Parallelsetzung der Bilder der Mutter und des Vaters, der Parallelsetzung der privaten Bildern mit den öffentlichen Nachrichten).

Die flirrende Ornamentik erlaubt meinem Blick nicht auszuruhen oder wegzusehen, sie gibt keinen Halt. Auf der Suche nach einem Halt kehrt mein Blick immer wieder zu den gegenständlichen Anteilen des Bildes zurück zu den in die Idylle gebannten Figuren. In diesem Festhalten der Figuren in der Idylle, im Sonntagsstaat steckt etwas gewalttätiges, das doch gerade vergessen gemacht werden sollte. Das Gebannte kommt durch das Flirren des Bildes noch deutlicher zum Ausdruck. Was ist das für eine Hitze, die die Idylle zum Flirren bringt?

Auf diese Weise wird die vorgefundene Gestalt, Sonntagsidylle, Kameradschaftsbild aufgebrochen und das abhakende im Wahrnehmungsprozess, aha, eine Sonntagsidylle usf. unterbrochen, die Gestaltschließung im Wahrnehmungsprozess stockt, das Anknüpfen an schon Bekanntem wird unterbrochen und es öffnet sich ein Raum für einen Erkenntnisprozess: Was ist da zu sehen, was macht das mit mir, was mache ich mit dem Gesehenen? Welche Erinnerungen werden frei?

Mit der flirrenden Ornamentik wird ein Abwehrprozess unterlaufen/konterkariert, der im nicht so genau hinschauen, im nicht so genau wissen wollen besteht. Es ist aus meiner Sicht nicht allein die Schuld, die Vergangenheit des Vaters als Täter, die nicht gesehen werden soll, sondern auch die Versehrtheit des Vaters; das Traumatisierte der Abgebildeten und/oder der Fotografierenden. Es stürzt uns in einen inneren Konflikt wenn wir uns zu verdeutlichen, dass ebene diese, die Schuld in einem umfassenden Sinne haben Verletzte, geschädigte, Traumatisierte sind und wir mit ihnen verletzt sind.

 

Zwischenüberlegung: Über die Beziehung von Schauen/Sehen und Nichtsehen
Ist damit nicht ganz allgemein ein Abwehrvorgang gegen Erkenntnis zu beschreiben?

Aus der klinischen Arbeit mit schwer traumatisierten Patienten wissen wir, dass das Traumatische erst dann im vollumfänglichen Sinne ins Erleben tritt, wenn klar gesehen wird.

Traumatisierung: Im Moment des Eintritts in das Konzentrationslager wird es schwarz, keine Bilder, keine Erinnerung (Trude Simonson, Frankfurt berichtet das eindrucksvoll, wenn sie beschreibt, wie sie ins Konzentrationslager Theresienstadt verbracht wurde.)

Es liegt im scharf Sehen, im Moment des Durchblickes auch ein Moment der Erkenntnis und des Schmerzes. „Ich sehe nicht klar!“ beschreibt auch etwas von einer Abwehrbewegung gegen Erkenntnis, sei intentional oder erlitten. Es gab wohl wiederkehrende traumatische Verlusterfahrungen. Der, der scharf sieht leidet, der, der den Durchblick hat leidet. Der, der der sich angestrengt darum bemüht, dem verschwimmt das Bild, das er zu erfassen sucht, wenn die Abwehr entsprechend dagegen hält.

Das Leid. Die Traumatisierung bricht durch, wenn die Abwehr gelockert ist, z.B. durch Erschöpfung oder Krankheit, Bsp. Kriegsneurose

Über der Schuld die wir selber fühlen und den Angriffen auf die die sich schuldig gemacht habe oder schuldig geworden sind übersehen wir deren Leid und werden selbst schuldig, und verpassen eine Mitmenschlichkeit.

Uns allen bleibt aber die Sehnsucht nach einer konfliktfreien Sphäre im Ich/“Turning a blind eye“ der Odysseus, der sich blendet, weil er die Schuld nicht ertragen kann, die in ihm aufkommt, wenn er anschaut, was er getan hat.

 

Gemeinsamkeit der Bildfolgen und des Videos: Sehnsucht nach einer konfliktfreien Sphäre im Selbst

Bildfolge: Vater aller Dinge – Mutter aller Leiden

Auf den Bilderstrecken, die die Kriegszeit des Vaters und der Mutter gegenüberstellen sind immer Gemeinschaften, Gruppen zu sehen. Gemeinschaftserlebnisse in der individuellen Biographie verankern  war das Ziel nationalsozialistischer Politik. Die völkische Gemeinschaft sollte so zu etwas Selbstverständlichem gemacht und die individuelle Biographie kolonialisiert werden. Dass diese Lebensformen selbst politisch waren kam den Akteuren nicht in den Sinn.

Verankern des Regimes in persönlichen Erfahrungen, im persönlichen Lebenslauf, so in den Jugenderinnerungen von Peter Brückner, ganz sicher der national-sozialistischen Ansteckung unverdächtig, der seine Jugend im NS-Reich als Robin-Hood-Geschichte erzählte, deren treibendes Moment zwar der eigene Widerstand gegen die Erwachsenenwelt war, der sich aber durchaus den Möglichkeiten der NS-Zeit bediente, denn man konnte das Verlangen des Regimes nach der Jugend gegen die Anforderungen der gewachsenen familiären Strukturen einsetzen.Es ist diese böswillige Vereinnahmungsforderung durch die Gruppe gegenüber dem Einzelnen, die Thomas Mann sehr subtil in seiner Erzählung Mario und der Zauberer meisterhaft vorgeführt hat - möglicherweise gegen sein eigenes Erkenntnisinteresse. Zum Gaudi des Publikums wird einer hypnotisiert, einem Hypnotiseur, der sich als Meister seines Faches und Beherrscher der Seele etwas aufspielt. Das "Opfer" bekommt den posthypnotischen Befehl an einer bestimmten Stelle im Saal auf seinem Rückweg in die Masse zu stolpern, Aus der Hypnose erweckt stolpert er tatsächlich. Er wird beschämt durch den Meister und das Gelächter des Publikums, diese Beschämung geht soweit, dass er den Meister erschießt, dessen Macht über Publikum und Beschämten erst dann zerfällt. Eine düster präzise Voraussage des Verlaufes des dritten Reiches.

„Das war die schönste Zeit meines Lebens an der Seite meines Mannes in Böhmen!“ sagte in einem Interview die Witwe Heydrichs, und „..wenn das Politische nicht gewesen wäre!“ Selbst auf dem Berghof ging es fröhlich kameradschaftlich zu und die Sekretärin Hitlers kannte ihren Chef nur als stillen, zurückhaltenden und freund-lichen Menschen. Wie kann man sich sonst erklären, dass sich bis zum Tode alte Kameradschaften trafen, bei Wein und Gesang die alten Zeiten durchgehend, und nichts dabei fanden das Horst-Wessel-Lied zu singen, gewissermaßen als Folklore der eigenen, ach lang schon vergangenen Jugendzeit. Die eigene Lebens-geschichte, die wollte man sich wohl nicht entreißen lassen, aber das war längst schon geschehen.

 

Bildfolge: Kleine Fluchten und Immer nur in Afrika

Es ist zumeist der Vater, der die Familie im Sonntagsstaat - auch ein interessantes Wort in diesem Zusammenhang - im Sonntagstaat fotografiert; ein Artefakt der Situation: Zeit in der Familie. mit der Familie war am Sonntag; es ist aber auch ein Statement, keine Kleidung des Alltags (bei den Frauen oft die sprichwörtliche Kittelschürze, eine Art Wickelkleid), also es ist zumeist der Vater, der diese Idylle fotografiert und es sieht so aus, als entwickele sich alles, die Familie, die Kinder; es für einen Moment ist eine heile Welt eingefangen und angehalten, als sollte sie so immer sein. Überhaupt kann ein Motiv für die wiederkehrenden Sonntagsbilder sein, die Idylle festzuhalten, zu dokumentieren, zu sehr hat die Generation davor erleben müssen, dass alles Feste sich verflüssigte, als sicher geglaubte zerstört wurde.

Aber es ist der Vater, der fotografiert. Diesen Blick auf die ideale, zumindest heile Welt nimmt ein Betrachter vor, dem beide Füße im Krieg abgefroren wurden; abgefroren im russischen Winter. Diese Destruktion ist gleichzeitig die Voraus-setzung für die Entstehung/Etablierung der Szene, denn ohne diese Verletzung hätte der Vater den Krieg wohl nicht überlebt. Dieser versehrte Fotograf ist für mich immer mitzudenken in der Bildbetrachtung: das Heile hat sein Negativ im Destruktiven, hat das Zerstörte zur Voraussetzung und verweist auf das Destruktive. Das Zerstörte ist immer dabei; auch die Verleugnung, die in diesen Bildern zum Ausdruck kommt enthält das Verleugnete als sein vorausgesetztes Negativ. Der Vater, der auf die Idylle seiner jungen Familie schaut und diese festhält schaut von sich selbst und seiner Traumatisierung weg. Schaut er von sich weg als Täter, als schuldig Gewordener oder schaut er nicht vielmehr weg, als Traumatisierter, der sein Trauma als junger Mann von 21 Jahren seine Füße zu verlieren nicht erträgt; die traumatisierten Traumatisierer, ein Tabu, das zu denken…

Das Kind, das die Wasseroberfläche des Teiches „berührt“ ist wie eine Voraussage des Aufstandes dieser Generation, die die so angestrengt gewonnene und mit noch mehr Anstrengungen erhaltene glatte Oberfläche kräftig aufwirbeln wird in der 68er Zeit. Eine Ahnung davon, dass das Unbewusste unter dieser Oberfläche sich nicht auf Dauer verleugnen lässt. Im See des Unbewussten fischen heißt unvermeidlich traumatisches, böses Destruktives hervorholen.

Die Frau, die dem Fotograf die Zunge herausstreckt verweist auf den Protest sich in eine verleugnende Sonntagskultur einpressen zu lassen. Kein Arrangement mehr, Wirklichkeit! Die Anstrengung der Sehnsucht nach einer konfliktfreien Sphäre im Ich-Raum zu schaffen scheint auch in den gefilmten Anreisen zum Campingplatz, die sie im Video im Eingangsbereich sehen konnten deutlich zu werden. Alles ist langsam, man kommt nur mühsam an/ unter Mühen an. Wie zur Idylle gelangen? Endlich Ferien? Wovon?

Diese Sehnsucht nach einer konfliktfreien Sphäre im deutschen Selbst muss misslingen, weil über vielfältige maligne Identifizierungen ein Fremdkörper im Selbst aufgenommen worden ist, der das Ich überschattet. Das ist die Identifizierung mit dem Regime, die ich weniger in der Identifizierung mit einer idealen Führerfigur sehe, sondern in der prägenden Allumfassenheit mit der dieses Regime alle Lebensvollzüge, den gesamten Alltag erfasst hat.

Noch heute fahren wir über die Autobahnen, die das Regime gebaut hat. Die freie Fahrt auf der Autobahn ist in den ersten Werbefilmen zur Autobahn gleichgesetzt mit der bahnbrechenden Ideologie des dritten Reiches. Wir sind das einzige Land der Welt ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Autobahn, „Freie Fahrt für frei Bürger“, ein faschistoider Rest von idealer raumzeitlicher Unbegrenztheit? Das Dritte Reich ist in unser kollektives Selbst mit einem umfassend gestalteten Alltag eingesickert und durch Krieg, Ausbombung und Holocaust eingebrannt. Der Selbst-hass und das Schuldgefühl einerseits sowie der Hass auf das Fremde andererseits könnten Ausdruck dieser identifikatorischen und traumatischen Hinterlassenschaften im kollektiven Selbst der Deutschen sein. Karin Hoerler arbeitet einen bildnerischen Erkenntnisprozess aus, in dem sie diese Hinterlassenschaften erkundet und uns durch die Form die sie dafür gefunden hat, auffordert, daran teilzuhaben.

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