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Karin Hoerler und das Reinheitsgebot

Das Fotografische im Werk von Karin Hoerler.

Festzustellen ist, dass dem Werk von Karin Hoerler Fotografien zugrunde liegen. Allerdings sind diese Fotografien nicht selbst erstellt, sondern gefunden, oder genauer gesagt gezielt ausgewÀhlt. Karin Hoerler konzentriert sich hierbei auf Fotos mit dokumentarischem Charakter.
Einer frĂŒhen Serie ihrer Arbeiten liegen Postkartenmotive zugrunde. Postkarten von sommerlichen FreibĂ€dern mit dem allgemein bekannten Flair der heilen Welt der Freizeitziele - einer Welt, die sich aufpoliert in den Prospekten der StĂ€dtewerbung entfaltet. Obwohl per se vielleicht nicht inszeniert, wird der Fokus der Kamera doch so gewĂ€hlt, dass die Welt in harmonischen Bildern Gestalt findet und die allseits vorhandenen Schmuddelecken ausgeblendet werden. Diese Dokumentationen einer heilen Welt, diese unaufgeregten Postkartensujets dienten Karin Hoerler dazu, ihre ganz spezielle Arbeitstechnik zu entwickeln.
Karin Hoerler unterzieht das Fotodokument einer experimentellen Bearbeitung. Sie schneidet das Bild in Segmente, spiegelt diese und setzt sie an den Spiegelachsen wieder zusammen. Bei diesem Sezieren der OberflÀche dehnt sie das Bild, so dass sich als Folge eines solchen strukturellen Eingriffs ins GegenstÀndliche Texturen entfalten.
Der experimentelle Umgang mit dokumentarischem Bildmaterial erfuhr 1927 einen Höhepunkt in dem deutschen experimentellen Dokumentarfilm von Walther Ruttmann: “Berlin: Die Sinfonie der Großstadt”. Walther Ruttmann schrieb, dass er aus “tatsĂ€chlich vorhandenen Bewegungsenergien des Großstadtorganismus eine Film-Sinfonie zu schaffen” suchte. Der Drehbuchautor Carl Meyer schrieb ein Treatment fĂŒr den Film, das einen sinfonischen Filmaufbau, den Verzicht auf Schauspieler und eine Geschichte, die Konzentration auf das Wirkliche und eine Gestaltung mit den ureigensten Mitteln des Filmes anstrebt. Die sinfonische Montage erzeugt einen neuen Sinn, der ĂŒber die GegenstĂ€ndlichkeit der dokumentarischen Filmaufnahmen hinausgeht. Einer rechtsdrehenden Bewegung wird quasi spiegelbildlich eine linksdrehende entgegen geschnitten. AufwĂ€rts wird mit abwĂ€rts gekontert und so fort.

Auch Karin Hoerlers Montagen dokumentarischen Materials folgen einer musikalischen, einer rhythmischen Struktur. Und wenn die Filmgeschichte Ruttmanns Film attestiert, dass dessen Rhythmus den Zuschauer hypnotisiere, dann ist in Karin Hoerlers Fotomontagen Vergleichbares zu finden.

Der wahrnehmungspsychologische Aspekt axialer Symmetrien.

In dem großen Feld wahrnehmungspsychologischer Aspekte nimmt das PhĂ€nomen der Achsensymmetrie eine besondere Stellung ein. Die achsensymmetrische Figur liefert dem Betrachter nur die HĂ€lfte der vorgeblichen Information. Ist doch sofort zu erkennen, dass gleicher Inhalt (nur eben seitenverkehrt) zweimal auftaucht, also zur HĂ€lfte redundant ist.
Gombrich berichtet von Untersuchungen, die zeigen, dass als Folge der auftretenden Redundanz der Blick automatisch die Stelle sucht, welche die Bruchkante der Figur darstellt. Man könnte meinen, ein “Bruchfinder” (ein von Gombrich entwickelter Terminus) steuere unsere Wahrnehmung, unseren Blick.

Wenn in dem Film “Berlin: Die Sinfonie der Großstadt” der Bruch - der Schnitt - durch die Montage einer Rechts- bewegung gegen eine gespiegelte Linksbewegung das Erinnerungsvermögen des Betrachters in Anspruch nimmt, wie es ja auch fĂŒr jede musikalische Figur gilt, so ist im einfachen Klappbild die gleichzeitige PrĂ€sens der Bestandteile gegeben und erlaubt einen schnellen Blick. Als angenehm wird das der Klappfigur innewohnende Gleichgewicht empfunden.
Spiegelt man allerdings die einfache Klappfigur weiter, tritt eine Irritation auf und jede weitere Wiederholung bedroht die Ruhe, zerstört sie doch das Einmalige der Mittelachse. Das Auge springt von Bruch zu Bruch, Einheiten lösen sich auf, neue entstehen, um sofort wieder unterzugehen.
Es entstehen rivalisierende Ordnungen, die sich nach beiden Seiten erstrecken, auch nach oben und unten. Durch die verschiedenen möglichen Lesarten kommt die Suche nie zu Ende. Und wenn der Blick wandert, gerÀt er zu- sehends in ein visuelles Minenfeld, in dem sich die Wahrnehmung auf stÀndig wechselnde Binnenfiguren einstellt, die wir nicht in der Lage sind zu isolieren und festzuhalten. Und so scheint das Muster vor unseren Augen zu fluktuieren.

In der Bearbeitung der Fotografien entfaltet Karin Hoerler die eigentliche Abbildung, indem sie Schnitte ins Bild zieht, an denen es sich spiegelnd vervielfĂ€ltigt. Doch dort, wo sich ein Ornament zu formen beginnt, das sich wieder leichter entschlĂŒsseln ließe, akkumuliert sie die Bruchkanten und entzieht die neue Klappfigur der angenehmen Wahrnehmung.
Es entstehen ornamentale Texturen, die nicht der beruhigenden GesetzmĂ€ĂŸigkeit eines Ornamentes folgen.

Die Fotografien, die Karin Hoerler 2008 auf den Seziertisch ihres Ateliers legt, entstammen dem Familienalbum und dokumentieren die Geschichte ihrer Eltern in der Zeit vor ihrer Geburt. Karin Hoerler unterzieht diese Erinne- rungsbilder aus ihrer eigenen Familienvergangenheit einer Musterung. Sie teilt auf, erzeugt beim Brechen Bruch- kanten und multipliziert durch Mehrfachspiegelungen die Teile, die in ihrer Masse zum Ornament gerieren.

Das Ornament der Masse, wie es Siegfried Krakauer 1927 formulierte.

Siegfried Krakauer spricht in einem Essay, der im Juni 1927 in der Frankfurter Zeitung erschien, vom Ornament der Masse. Er deckt am Beispiel der Tillergirls die choreografische Mode auf, mit einer großen Anzahl von Personen Ornamente zu formen. So schreibt er:
“Die Muster der Stadions und Kabarette... werden aus Elementen zusammengestellt, die nur Bausteine sind und nichts außerdem. Zur Errichtung des Bauwerks kommt es auf das Format der Steine und ihre Anzahl an. Es ist die Masse, die eingesetzt wird. Als Massenmitglieder allein, nicht als Individuen, ... , sind die Menschen Bruchteile einer Figur.” (S. Kracauer, Das Ornament der Masse, Frankfurt 1977 S. 51 ff)
Wie bei den Tillergirls: “. . . keine einzelnen MĂ€dchen mehr, sondern unauflösliche MĂ€dchenkomplexe, deren Bewegungen mathematische Demonstrationen sind.” Diese Schaustellungen verbreitete weltweit eine Filmindustrie.

Die Eröffnungsfeier der Olympiade in Berlin 1936 prÀsentierte tausend Angehörige des Internationalen Sport- studentenlagers Eichkamp als BÀnder und Reifen schwingendes bewegtes Ornament. Und Leni Riefenstahl montierte in ihrem Film zur Olympiade symphonisch Bewegung gegen Bewegung.
Schon 1935 hatte sie, inspiriert durch Ruttmanns Schnitttechnik und sein GespĂŒr fĂŒr Rhythmus, diesen zur Mitarbeit an ihrem Werk “Triumph des Willens” herangezogen.
“TrĂ€ger der Ornamente ist die Masse. Nicht das Volk, denn wenn immer es Figuren bildet, hĂ€ngen diese nicht in der Luft, sondern wachsen aus der Gemeinschaft hervor.” So differenziert Krakauer in seinem Essay sehr interessant zwischen Masse und Volk. Die Propagandamaschine des Nationalsozialismus formt das Volk zum Massenornament.
WÀhrend ornamentale Zierleisten des Historismus und des Jugendstils durchaus individuelle AusprÀgungen zulassen, die sich dem vergleichenden Auge erst langsam entdecken, wÀhrend die Achsensymmetrie eines Gesichts nicht wirklich einer Spiegelung der anderen GesichtshÀlfte entspricht, so setzt das Massenornament auf absolute Gleichschaltung.

Ornamentale Gewalt ist der Vater aller Dinge und die Mutter aller Leiden.

Nicht die Fotos, die Kindheitserinnerungen bergen, sind das Ausgangsmaterial von Karin Hoerlers Bildwerken aus den Jahren 2007 bis 2010, sondern Bilder aus dem Leben von Vater und Mutter aus einer Zeit davor. Foto- dokumente, denen neben dem dokumentarischen Charakter auch etwas Inszeniertes innewohnt.
Denn die Motive, obwohl konkret aus dem ganz privaten Lebenszusammenhang ihrer Eltern genommen, stellen in ihrer Motivik Standards dar, die in vielen vergleichbaren Fotoalben eingelagert sind.
Karin Hoerler abstrahiert in verschiedenen Schritten das Private. Sie löscht die Grauwerte. Sie stĂ€rkt die Kontur und sie ĂŒberzieht die Bilder mit einer gebrochenen Farbigkeit. Ihr grĂ¶ĂŸter, auch inhaltlich relevantester Eingriff aber ist die Ornamentalisierung mittels eingezogener Bruchkanten, durch die sie die Bildpartikel spiegelnd geometrisiert.

“Die Tillergirls lassen sich nachtrĂ€glich nicht mehr zu Menschen zusammensetzen, die MassenfreiĂŒbungen werden niemals von den ganz erhaltenen Körpern vorgenommen, deren KrĂŒmmungen sich dem rationalen VerstĂ€ndnis verweigern. Arme, Schenkel und andere TeilstĂŒcke sind die kleinsten BestandstĂŒcke der Komposition.” (Krakauer)

Der von den Nachgeborenen meist unverstĂ€ndliche Blick auf die Jugendzeit der Eltern findet in den Arbeiten von Karin Hoerler  einen möglichen Deutungsansatz: Der Prozess der Nazifizierung war auch ein ornamentaler.

Das in seinen Traditionen und Ritualen Figuren bildende Volk degenerierte in kurzer Zeit zu einer in ornamentalen Mustern erstarrten Masse, zu einem Massenornament, welches von individuellen Unebenheiten gesÀubert war. Und war insofern die Entwicklung vom Reinheitsgebot hin zur Rassenhygiene.

Dem zur Zierde entwickelten Ornament wohnt der Zwang inne. “Am Ende steht das Ornament, zu dessen Verschlossenheit die substanzhaltigen GefĂŒge sich entleeren.” (Krakauer)

Karin Hoerler entdeckt bewusst oder unbewusst die Struktur einer Epoche, in der sie ihre Eltern zu orten sucht. Weil aber die Muster die Individuen auslöschen, hat Karin Hoerler mal Vater, mal Mutter mit einem Kreuzchen markiert.

Noch intensiver dringt Karin Hoerler in die gewĂ€hlten Vorlagen ein, wenn sie sich zeichnend auf großen LeinwĂ€nden in die sich zunehmend auflösenden Motive hineinarbeitet. Mit der Wachsölkreide erzeugt sie körnige Texturen, die als letztes Rauschen zum Bild gerinnen. Hier tritt die Technik der formalen Spiegelung zum Teil in den Hintergrund. Karin Hoerler findet neue Faltungen in inhaltlichen Gegenbildern.
FĂŒnf Personen, uniformiert vor einer Gebirgskulisse sitzend, werden von ihr durch Montage hinter einem Haufen von toten Körpern platziert. Hier verlĂ€uft waagerecht durch das Bild eine Bruchkante, die nicht mehr den Gleichschritt der Ornamentalisierung erzeugt. Der hier angelegte Schnitt erhöht den Widerspruch zwischen den dargestellten Inhalten. Wenn wir zuvor das Prinzip der sinfonischen Montage, die fließend die Bildteile miteinander verbindet, als Beispiel herangezogen haben, so bietet sich hier als Vergleich das von Eisenstein entwickelte Prinzip der dialektischen Konfrontationsmontage an, in dem der Widerspruch der Bildinhalte einen Schock bewirken soll.

Karin Hoerlers Montagen konfrontieren den Betrachter mit ihrer individuellen Suche nach einer Antwort auf die Frage: Woher komme ich und was sind meine Wurzeln?

Eine Frage, mit der jeder ganz persönlich konfrontiert ist.

Gottfried Hafemann, 2010

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